Pianistin und Komponistin

Es war in 2007 in Berlin, und das Publikum der Philharmonie, das sich der Sitten der Umgebung meist so gut bewusst ist, klatschte zwischen den Sätzen. Es war einfach unmöglich, die überwältigenden Emotionen, die Seiji Owaza und die Berliner Philharmoniker in jedem von uns ausgelöst hatten, für sich zu behalten. Ihre siebte Symphonie von Beethoven hatte uns von Tränen zur Ekstase geführt, und alle kamen gebrochen und glücklich heraus, ein solches Abenteuer erlebt zu haben. In dieser Nacht dachte ich zum ersten Mal, dass ich unbedingt Dirigieren lernen wollte. Dann vergingen die Jahre, und mein geschäftiger Alltag ließ mir wenig Zeit, um an was anders als an meine Klavierkonzerte zu denken. Aber die dreißiger und eine erste Lebensbilanz änderten die Situation, und ein kleiner Satz vom 16-jährigen Liszt begann, in meinem Kopf immer lauter zu schwingen. „Was hätten wir gerne zum Zeitpunkt des Todes getan? Lasst uns jetzt tun, was wir uns damals gewünscht hätten; es gibt keine Zeit zu verschwenden, jeder Moment kann der letzte unseres Lebens sein.“ Warum warten? In der Mitte meiner Bearbeitungsarbeit von Mahler Symphonien wurde es mir klar, dass, auch wenn das Klavier selbständig musizieren kann, wäre der Zugang zu dem Instrument mit den tausenden Gesichtern – das Orchester – doch wunderbar.

Diese Gedankenkombination veranlasste mich, meinen Freund und hervorragenden Dirigenten Philippe Bach im Sommer anzurufen, der mir einen Termin an einer kleinen Musikschule im Berner Oberland, wo er im Urlaub war gab. Er legte mir einen Bleistift als Taktstock in die Hand und zeigte mir, wie man die verschiedenen Grundmuster schlägt. Ich hätte nie gedacht, dass dieses Treffen der Beginn einer solchen Saison sein würde! Alles ging sehr schnell, und im Januar und Februar war ich seine Assistentin am Opernhaus in Meiningen, einer Stadt, deren lange musikalische Tradition noch sehr lebendig ist. Während dieser zwei Monate habe ich alle szenische Proben einer Oper von Othmar Schoeck,’Schloss Dürande‘, dirigiert. Die Teamarbeit war eine große Entdeckung für die einsame Pianistin, die ich bin. Das Konzept der gemeinsamen Anstrengung für das gleiche Ziel ist relativ fremd für Menschen, die sieben Stunden am Tag allein vor dem Klavier verbringen, allein reisen, allein im Restaurant essen und sich schließlich allein auf der Bühne befinden! In Meiningen war ich Teil einer Mannschaft, ich war das Glied in einer Kette, ich ging jeden Tag in Brahms‘ Fußstapfen zur Oper, und diese Juwelstadt im Thüringer Wald erschien mir als Vorzimmer zum Musikerparadies. Der Höhepunkt dieses Aufenthaltes war eine Probe, mit dem gesamten Orchester, dem Chor und den Solisten, die ich vom Graben dirigieren durfte. Mein Leben schien plötzlich eine andere Dimension anzunehmen! Es war mit einem schweren Herzen, das ich wegging, aber diese Erinnerung leuchtet immer noch in meinem Herzen, und wenn es mir in Städten aus Stahl und Beton kalt wird, denke ich an diese magische Enklave, die vom großen Wald umarmt wird, und dieser Gedanke erhellt den Asphalt.

Nach einigen Reisen nach England für Meisterkurse, wo ich die Musiker des Liverpool Philharmonics und der Manchester Camerata dirigierte, kamen Paris, die Opéra Comique, Offenbach, die Juni-Hitzewellen. Ich entdeckte eine ganz neue Welt und war die Assistentin von Laurent Campellone, einem Spezialisten für dieses besondere Repertoire. Er vertraute mir die Leitung der Partielles mit dem Orchestre de Chambre de Paris an, und die gewissenhafte Vorbereitung, die ihnen vorausging, ermöglichte es mir, mich wirklich mit dem ganz Stil der „komischen Oper“ vertraut zu machen.

Zum Abschluss dieser ersten Saison als Dirigentin wurde ich von der Royal Philharmonic Society of London eingeladen, an einem Meisterkurs in Covent Garden und dem National Opera Studio teilzunehmen. Eine intensive Woche des Eintauchens mit den tollen Musikern des Royal Opera House Orchestras und des zeitgenössischen Ensembles CHROMA. Das Repertoire war fesselnd, mit Ausschnitten aus ‚la Clemenza di Tito’ und George Benjamins zeitgenössischer Oper „Into the Little Hill“. Diese Woche endete mit einem Höhepunkt: die Anwesenheit von George Benjamin, dem wir alle Fragen, die seine Arbeit aufgeworfen hatte, stellen konnten. Es ist ungewöhnlich, den Komponisten zur Verfügung zu haben, und das ist eine Gelegenheit, die ich nicht verpasst habe zu schätzen!

Der nächste Schritt in dieser neuen Karriere wird an der Limoges Opernhaus stattfinden, wo ich das Orchester für Laurent Campellone in Madame Favart, der Oper, die wir im Juni in Paris aufgeführt haben, vorbereiten werde. Im September werde ich in der Dirigierklasse der Hochschule der Künste in Bern studieren, und ich habe bereits eine Milliarde Projekte im Kopf!

“ Was hätten wir gerne zum Zeitpunkt des Todes getan? Lasst uns jetzt tun, was wir uns damals gewünscht hätten; es gibt keine Zeit zu verschwenden, jeder Moment kann der letzte unseres Lebens sein.“

Franz Liszt (1811 – 1886 )